Orem Pflegemodell

Dorothea Orem Pflegemodell – Auf einen Blick

  • Definition: Das Pflegemodell nach Dorothea Orem basiert auf der Theorie der Selbstpflege. Pflegekräfte unterstützen Patientinnen und Patienten gezielt dabei, ihre Selbstfürsorge (wieder) zu erlangen oder zu erhalten.
  • Zentrale Theorie: Im Mittelpunkt steht das Selbstpflegedefizit: Wenn Menschen krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, greifen Pflegepersonen ergänzend oder kompensierend ein.
  • Pflegeziel: Ziel ist es, die Autonomie der Patientinnen und Patienten zu fördern. Die Pflege wird so geplant, dass sie individuelle Hilfe zur Selbsthilfe leistet.
  • Rolle der Pflegekraft: Die Krankenpflege erfolgt partnerschaftlich und interaktiv. Pflegepersonen begleiten, motivieren, unterrichten und unterstützen physisch, psychisch und organisatorisch.
  • Digitaler Bezug: Auch digitale Anwendungen können helfen, den Pflegeprozess zu strukturieren, zu dokumentieren und Selbstpflegepotenziale gezielt zu fördern.

Das Pflegemodell nach Dorothea E. Orem: Erklärung und Schwerpunkt

Das Pflegemodell nach Dorothea E. Orem stellt die Selbstpflegefähigkeit des Menschen in den Mittelpunkt und definiert Pflege als Unterstützung, wenn diese Fähigkeit eingeschränkt ist.

Es zählt zu den bedeutendsten theoretischen Konzepten der professionellen Pflege und findet weltweit Anwendung in Gesundheitssystemen. Pflege wird erforderlich, wenn körperliche, psychische oder soziale Einschränkungen die eigenständige Selbstpflege ganz oder teilweise unmöglich machen.

Medizinisch geprägtes Gesundheitsverständnis

Dorothea Orem definiert Gesundheit ursprünglich als „strukturelle und funktionale Intaktheit und Ganzheit“ – ein stark medizinisch geprägtes Verständnis, das lange Zeit vor allem von der Abwesenheit krankhafter Symptome ausging. In späteren Überarbeitungen ihres Modells bezieht sie jedoch zunehmend auch Prävention und soziale Einflussfaktoren in ihre Definition ein.

Menschenbild und zentrale Annahmen

Dem Modell liegt ein optimistisches Menschenbild zugrunde: Der Mensch wird als autonomes, vernunftbegabtes Wesen verstanden, das grundsätzlich in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen. Dieses Selbstpflegeverhalten wird als bewusste, geplante Handlung aufgefasst.

Gleichzeitig erkennt Orem an, dass viele Menschen zeitweise oder dauerhaft Unterstützung benötigen – etwa aufgrund mangelnder Ressourcen, eingeschränkter Fähigkeiten oder äußerer Umstände.

Sie hat fünf grundlegende Annahmen für die allgemeine Pflegetheorie formuliert:

  1. Menschen benötigen den Austausch mit anderen und ihrer Umwelt, um zu leben und sich zu entwickeln.
  2. Selbstpflege und die Hilfe für andere sind Ausdruck bewusster menschlicher Handlung.
  3. Erwachsene erleben Einschränkungen in ihrer Selbstpflegefähigkeit – etwa durch Krankheit, Alter oder Behinderung.
  4. Pflege entsteht dort, wo Menschen Wege entwickeln, um notwendige Unterstützung zu erkennen und bereitzustellen.
  5. Pflege erfolgt innerhalb organisierter Gruppen – durch übernommene Verantwortung für Betroffene mit Unterstützungsbedarf.

Theorieelemente im Überblick

Orem differenziert ihre Theorie in drei zentrale Teilmodelle:

  • Die Theorie der Selbstpflege beschreibt die eigenverantwortliche Versorgung zur Erhaltung von Gesundheit, Wohlbefinden und Entwicklung.
  • Die Theorie des Selbstpflegedefizits analysiert Situationen, in denen Menschen professionelle Hilfe benötigen, um ihre Selbstpflege sicherzustellen.
  • Die Theorie der Pflegesysteme erläutert, wie Pflegende und Pflegebedürftige zusammenwirken, um Pflege bedarfsgerecht umzusetzen.

Selbstfürsorge- und Selbstpflege-Defizit-Theorie

Im Fokus von Dorothea Orems Pflegetheorie steht ein klarer Perspektivenwechsel: Der pflegebedürftige Mensch wird nicht mehr ausschließlich als passiver Empfänger von Hilfe verstanden, sondern als grundsätzlich handlungsfähiges Individuum, das selbst für sich sorgt. Pflege wird demnach immer dann erforderlich, wenn Selbstpflege nicht (mehr) ausreichend möglich ist.

Diese Sichtweise mündet in Orems bekannteste Theorie: der Selbstpflege-Defizit-Theorie der Krankenpflege. Sie bildet das Herzstück ihres Pflegemodells und ist bis heute in vielen Ländern fester Bestandteil der Pflegepraxis und -ausbildung.

Orems Theorie basiert auf drei Kernaussagen:

  1. Selbstpflege ist eine erlernte, bewusste Handlung. Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens Routinen und Fähigkeiten, um ihre Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen – sei es durch Ernährung, Körperpflege oder die Einnahme von Medikamenten.
  2. Selbstpflegedefizite entstehen, wenn dieses Vermögen eingeschränkt ist. Krankheit, Alter, psychische Belastung oder körperliche Einschränkungen können dazu führen, dass Menschen auf Hilfe angewiesen sind.
  3. Pflege passt sich dem Grad des Defizits an. Die Pflegekraft übernimmt unterstützende, teilweise oder vollständig kompensierende Funktionen. Ziel ist immer, die Selbstpflegekompetenz zu erhalten oder (wieder) zu fördern.

Digitale Anwendungen in der Pflege nach Orem

In modernen Versorgungskontexten lässt sich Orems Modell hervorragend mit digitalen Lösungen verbinden:

  • Digitale Pflegeplanung, strukturierte Pflegeassessments und vernetzte Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) eröffnen neue Möglichkeiten, Selbstpflegekompetenzen systematisch zu erfassen, zu dokumentieren und individuell zu fördern.
  • So wird Orems Ansatz nicht nur theoretisch fundiert, sondern auch praxisnah und zukunftsorientiert weiterentwickelt.

Selbstpflegeerfordernisse durch Gesundheitsabweichungen

Gesundheitsveränderungen, wie akute Erkrankungen, chronische Beschwerden oder psychische Belastungen, erhöhen die Anforderungen an die Selbstpflege und können ein Pflegebedürfnis auslösen. Dorothea Orem spricht in diesem Zusammenhang von Selbstpflegeerfordernissen durch Gesundheitsabweichungen.

Solche Abweichungen beeinträchtigen laut Orem nicht nur einzelne Körperfunktionen, sondern das menschliche Funktionieren als Ganzes. Ist dieses Gleichgewicht gestört, kann die selbstständige Alltagsbewältigung eingeschränkt sein und die betroffene Person wird zur Pflegeempfängerin.

Auch der bewusste Entschluss, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, zählt als Selbstpflegehandlung. Um ein passendes Selbstpflegesystem aufzubauen, müssen Betroffene in der Lage sein, medizinisches Wissen auf ihre individuelle Situation anzuwenden.

Orem unterscheidet dabei drei Formen von Gesundheitsabweichungen, die Selbstpflege erfordern:

  1. Veränderungen der physischen Struktur: z.B. Verbrennungen, Schwellungen oder Wunden.
  2. Beeinträchtigungen körperlicher Funktionen: z.B. Mobilitätseinschränkungen oder hormonelle Veränderungen nach der Geburt.
  3. Verhaltensbezogene Abweichungen: z.B. Schlafstörungen, Appetitverlust oder depressive Reaktionen.

Vorgehensweise bei der Pflegediagnose

Im Orem Pflegemodell beginnt jede Pflegediagnose mit einer systematischen Einschätzung der Selbstpflegefähigkeit des Patienten oder der Patientin. Die Erfassung der individuellen Kompetenz zur Selbstpflege ist ein zentrales Element in der Pflegediagnose.

Ziel ist es, festzustellen, in welchem Umfang Pflege notwendig ist und welche individuellen Ressourcen gefördert werden können. Dabei betont Orem ausdrücklich: Die Pflegediagnose soll nicht auf Intuition beruhen, sondern auf strukturierten Informationsprozessen.

Pflegekräfte orientieren sich dabei an fünf zentralen Informationskategorien:

1) Feststellung der Selbstpflegeanforderungen: Welche Anforderungen stellt die aktuelle Lebens- und Gesundheitssituation an die Selbstfürsorge des Patienten?

2) Einschätzung der Selbstpflegekompetenz: In welchem Maß ist der oder die Betroffene in der Lage, bestehende Probleme selbstständig zu lösen?

3) Analyse der Selbstpflegehindernisse: Liegt ein Selbstpflegedefizit vor, wird nach den Ursachen gesucht. Mögliche Gründe sind:

  • Fehlendes Wissen über die neue Situation.
  • Eingeschränkte körperliche oder geistige Fähigkeiten.
  • Mangelnde Motivation zur Selbstfürsorge.
  • Unzureichende Vorerfahrungen oder altersbedingte Einschränkungen.

4) Beteiligungsmöglichkeit am Pflegeprozess: Kann und will sich die betroffene Person aktiv an der Pflege beteiligen?

5) Ressourcenanalyse: Welche körperlichen, kognitiven und sozialen Ressourcen stehen zur Verfügung – und wie können diese aktiviert werden?

Digitale Unterstützung im Diagnoseprozess

Digitale Systeme innerhalb der Telematikinfrastruktur bieten heute wertvolle Unterstützung bei der Pflegediagnose. Über strukturierte Erfassungsbögen wie die strukturierte Informationssammlung (SIS) oder digitale Pflegeassessments lassen sich relevante Informationen standardisiert erfassen und dokumentieren. So werden Entscheidungsgrundlagen transparent und nachvollziehbar gemacht – ein zentraler Schritt hin zu einer interdisziplinär vernetzten und patientenzentrierten Pflege.

Zielsetzung und Planung der Pflege

Pflegekräfte formulieren gemeinsam mit der pflegebedürftigen Person realistische, überprüfbare Ziele, die sich in drei zeitliche Kategorien gliedern:

  • Kurzfristige Ziele: z.B. selbstständiges Zähneputzen nach einer Operation.
  • Mittelfristige Ziele: z.B. eigenständige Mobilisation in der Wohnung.
  • Langfristige Ziele: z.B. Rückkehr in den Alltag ohne externe Unterstützung.

Die gewählte Pflegeintervention orientiert sich dabei immer an der Frage: Was kann der Patient selbst leisten und wo ist gezielte Unterstützung nötig?

Die Pflegeplanung erfolgt nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg, sondern gemeinsam mit ihnen. Im Dialog wird festgelegt, ob die Pflegekraft vollständig eingreifen muss („kompensatorisch“) oder lediglich beratend und unterstützend zur Seite steht („partiell“ oder „unterstützend-edukativ“).

In jedem Fall ist das Ziel, die betroffene Person schrittweise zur selbstständigen Selbstpflege zu befähigen – mit so wenig Fremdunterstützung wie möglich, aber so viel wie nötig.

Digitale Pflegedokumentation

Pflegeziele und Pflegepläne nach Orems Modell lassen sich heute auch TI-gestützt in digitalen Pflegedokumentationen abbilden. Durch die standardisierte Erfassung nach einheitlichen Klassifikationen wird eine transparente, vergleichbare und kontinuierlich überprüfbare Zielplanung möglich.

Ausführung des Pflegeplans

Dorothea Orem hat besonderen Wert auf die gegenseitige Verantwortung gelegt: Jede pflegerische Handlung steht in Beziehung zu einer komplementären Reaktion des Patienten. Wer unterstützt wird, muss bereit sein, Hilfe anzunehmen – mit dem Ziel, wieder selbstständig zu werden. Erst das gemeinsame Handeln führt zu einer stabilen Pflegesituation.

Orem unterscheidet sechs Möglichkeiten, wie Pflegepersonen zur Selbstpflege beitragen können:

  1. Etwas für den anderen tun, z.B. Hilfe beim Ankleiden.
  2. Anleitung geben, z.B. bei der richtigen Medikamenteneinnahme.
  3. Physische Unterstützung bieten, z.B. beim Aufstehen oder Gehen.
  4. Psychologische Unterstützung leisten, z.B. durch empathisches Zuhören.
  5. Ein förderliches Umfeld schaffen, z.B. durch barrierearme Raumgestaltung.
  6. Wissen vermitteln, z.B. zur Ernährung oder Selbstbeobachtung bei chronischen Erkrankungen.

Gut zu wissen: Die Ausführung des Pflegeplans kann heute digital dokumentiert und nachvollziehbar gemacht werden. So werden pflegerische Maßnahmen nicht nur transparent, sondern auch qualitätsgesichert.

Häufige Fragen und Antworten

Was ist das Pflegemodell Orem?

Das Pflegemodell nach Dorothea Orem basiert auf dem Grundgedanken der Selbstpflege. Pflegekräfte unterstützen Patientinnen und Patienten dabei, ihre eigenen Fähigkeiten zur Gesundheitsversorgung zu erhalten oder wiederzuerlangen. Das Modell ist weltweit anerkannt und bildet eine zentrale Grundlage moderner Pflegekonzepte.

Was ist ein Selbstpflegedefizit nach Orem?

Ein Selbstpflegedefizit liegt laut Dorothea Orem vor, wenn eine Person nicht (mehr) in der Lage ist, für ihre eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu sorgen, beispielsweise aufgrund einer Erkrankung, Verletzung oder kognitiven Einschränkung. Pflegekräfte beurteilen, in welchem Umfang Unterstützung notwendig ist, und passen ihre Maßnahmen an die individuellen Fähigkeiten der betroffenen Person an. Ziel ist es, dieses Defizit schrittweise zu reduzieren oder zu kompensieren.